kurzgeschichten

DAS NEUE HEMD   ©guramy                                                                                                                                                       im April 2020

 

 

Es war ein herrlicher Frühlingstag am Wochenende und ich hatte nichts weiter vor. So beschloss ich kurzerhand zum Friedrichsplatz zu gehen, um mich am Wasserturm in die Sonne zu setzen und die Natur zu genießen.

Ich ließ mich auf einer Bank nieder und sinnierte darüber wie recht George Harrison von den Beatles doch hatte, als er in seinem weltberühmten Lied

„Here comes the sun“ feststellte, dass, wenn der Winter vorbei ist das Lächeln zurück in die Gesichter der Menschen kehrt. Und genau so war es. Wo man auch hinschaute: „…the smiles returning to the faces“.

 

Während ich also auf meiner Bank saß und entspannt dem bunten Treiben folgte lief ein Mann mittleren Alters an mir vorbei. Ich hatte sofort das ungute Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte. Mit einem Schlag war die Harmonie dahin. Bei genauerem Hinsehen wurde mir klar woran es lag.

Es war sein Hemd. Es passte überhaupt nicht zum Rest seiner Kleidung.

Er trug beige Schuhe und Hosen, und hatte dazu eine Kappe, ebenfalls beige auf dem Kopf.

Sein buntkariertes Hemd hatte diverse knallige Blau-, Gelb- und Rottöne.

Noch genauer kann ich es nicht beschreiben. Ich weiß nur, dass es definitiv nicht zum Rest der Kleidung gepasst hat.

Es war wirklich ein wunderschöner Tag und alles schien mir im Gleichklang miteinander. Und dann kommt dieser Mann mit seinem Hemd daher und versaut mit seiner Kleidungskomposition komplett die Kulisse.

Ich überlegte, was man tun kann.

Der Mann wirkte auf mich wie jemand, der sich darüber aufregt, wenn Grafitti- Künstler irgendwelche hässlichen, grauen heruntergekommenen Brückenpfeiler künstlerisch aufwerten und abgesehen von einigen dilettantischen Ausnahmen dafür sorgen, dass diese -zumindest in meinen Augen- hinterher meistens ästhetischer aussehen als zuvor.

Vielleicht, dachte ich, hat er niemanden, der ihn berät und ihm sagt, was an ihm gut aussieht und was eher nicht. Also sah ich mich aufgefordert diesen Part zu übernehmen und sprach ihn an:

„Guten Tag, haben sie einen kurzen Moment Zeit?“

Der Mann schaute etwas verdutzt und sagte: „Ja, was ist denn?“

„Es ist Ihr Hemd, es passt nicht zum Rest Ihrer Kleidung.“

„Wie bitte? fragte er mit ungläubigem Gesichtsausdruck.

„Ja“, sagte ich, „Sie sind einfach unvorteilhaft gekleidet, hauptsächlich ist es Ihr Hemd.“ Er schaute mich fassungslos an.

Nach einer kurzen Pause sagte er: „Ich glaube, Sie spinnen was erlauben Sie sich?“.

„Mit Verlaub“, sagte ich „aber was erlauben Sie sich?“ Ich will Ihnen ja nur helfen.

Er schüttelte heftig seinen Kopf und forderte ungehalten: „Lassen Sie mich in Ruhe, verschwinden Sie.“

„Sie beleidigen mit Ihrer geschmacklosen Aufmachung mein Auge“, sagte ich. „Sie versauen das ganze ausgewogene Bild. Und darum schlage ich Ihnen vor, dass Sie ein anderes Hemd anziehen. Schauen Sie, da vorne ist eine Boutique.“

„Es geht Sie nichts an, welche Hemden ich trage und jetzt hauen Sie gefälligst  ab“ erwiderte er.

  

Die Situation hatte einen gewissen Grad an Gereiztheit angenommen.

 

 

weiterlesen

KEINE BESONDEREN VORKOMMNISSE    © guramy

 

WER BRAUCHT KAMINHOLZ?   © guramy